Vom Endurofahren, Schinkenessen und Messerkaufen -
Eine Endurotour durch die italienischen Ostalpen



Dieser Ausblick. Dieser absolut grandiose Ausblick! Wir stehen buchstäblich am Südrand der Alpen und vor uns liegen die Ebenen der norditalienischen Regionen Friaul und Venetien. Hier oben auf über 1000 m Höhe, in der Nähe von Piancavallo, einem eher hässlichen Retorten-Skiort, schlängelt sich eine gut befahrbare Schotterpiste an den letzten Ausläufern der Alpen entlang. Immer wieder müssen wir anhalten um diesen Ausblick zu geniessen. Am südlichen Horizont ist sogar die Adriaküste zu erkennen!
Friulische Dörfer mit ihren typischen Kirchtürmen prägen das Bild der Ebene.

Wir sind, wie in jedem Jahr, im Friaul unterwegs. Die 500 km lange Anfahrt ist schon ein Genuß und gehört einfach dazu. Landstrassenhatz bis Rosenheim, auf die bis Kufstein-Süd mautfreie Autobahn, am immer wieder schönen Wilden Kaiser
vorbei ins mondäne Kitzbühel.
Der Paß Thurn mit seinen breiten Spitzkehren stimmt uns ein. Über den Tauerntunnel geht`s weiter nach Lienz, Gailbergsattel und dann das erste Highlight, der Plöckenpass.
Vor Tolmezzo halten wir uns rechts und befahren die Schotter-Rundtour am Monte Crostis. Wolkenfetzen wirbeln in den Talkesseln und schieben sich langsam über die Bergrücken. Außer uns gibt es hier nur ein paar Kühe. Ein Not-Refugio, angebaut an einen Kuhstall ist unserer erstes Nachtlager. Wir geniessen die Stille, das Schauspiel der Wolken und das Prasseln des Lagerfeuers. Je länger der Abend und je leerer die Weinflaschen, desto besser werden die Geschichten von harten Touren, weiten Strecken und vergangenen Abenteuern. Spät Nachts ist der Himmel dann sternenklar und der Sternenhimmel steht denen von Sahara-Nächten in nichts nach.

Möglichst viel Schotter steht auf dem Programm

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Am nächsten Morgen wird noch ausgiebig gefrühstückt und dann geht`s flott weiter. Möglichst viel Schotter soll gefahren werden und so nehmen wir die Strecke von Mione nach Sauris. Die Wege sind anspruchsvoll und verlangen eine gute Beherrschung der Maschine. Betonierte Querrillen bei der Auffahrt sind anfangs lästig. Sobald man weiss wie es geht, macht das Springen einen Heidenspaß! Tiefe Auswaschungen und einige Bergrutsche verlangen uns einiges ab. Grobe Schotterpassagen lechzen nach Geschwindigkeit zur Führung des Vorderrads. Es ist schlichtweg ein Paradies für Hobby-Enduristen. In Sauris gibt es einige urige Gaststätten. Also auf keinen Fall verpassen. Wir geben wieder Gas und fahren über den Passo di Rest ins Vale di Tramontina. Für mich eine der schönsten Strecken überhaupt! Unzählige enge, griffige Kurven, sehr wenig Verkehr und sehenswerte Gebirgslandschaft. Man fährt sich in einen wahren Kurvenrausch. Adrenalin führt die Gashand und die KTM, so scheint es, freut sich mit mir. Übrigens ist die Anfahrt über den Passo di Rest mit Anhänger nicht zu empfehlen.

Wer es etwas beschaulicher mag, ist hier im Tramontiner Tal bestens aufgehoben. Touristenrummel wie in Südtirol oder am Gardasee gibt es hier nicht. Die Kneipe im Dorf ist gleichzeitig Tankstelle und kleine Pension. Der Dorf laden öffnet erst wieder nachmittags um fünf und so geht alles ein wenig ruhiger zu. Typisch friulisch eben. Von diesem „Dolce farniente“ lassen wir uns nicht anstecken und befahren die wilden Flußbette des Tagliamento und des Meduna. Hier zeigt sich sehr schnell, was das Enduro-Training in der heimischen Kiesgrube gebracht hat. Im wahrsten Sinne des Wortes kämpfen wir uns durch die grobsteinigen Passagen. Mehrmals stehen wir kurz vor der Versenkung der Motorräder bei den Flussdurchfahrten. Ein riesen Spaß trotz der Schinderei.
Das kulinarische Vergnügen soll ja auf einer Italientour nicht zu kurz kommen und deshalb statten wir dem Städtchen San Danielle di Friuli einen Besuch ab. Hier soll es den besten „Prosciutto“ , Schinken also, Italiens geben. Diese Leckerei wird luftgetrocknet und reift bis zu 16 Monate. An der zentralen Piazza bietet jedes Lokal Schinken bis zum Abwinken. Wir testen wie immer ausgiebig und fahren dann noch einige hundert Kurven zum Campingplatz zurück. Für notorische Camping-Verweigerer sei auf einige kleine Pensionen am Stausee im Tramontiner Tal hingewiesen, die einfach, sauber und je nach Saison sogar günstig sind.
Natürlich vergessen wir in diesem Jahr die Rundtour über den schönen Barcis See, Piancavallo und die Messerstadt Maniago nicht. Wer dringend ein Schwert oder etwas profaner, ein schönes Taschenmesser sucht, ist hier richtig. Gleich mehrere Läden bieten Messer in allen nur erdenklichen Ausführungen an. In Maniagos Messer schmieden werden meist die Schwerter für Historienfilme à la Gladiator gefertigt. Gleich um die Ecke hat es noch eine sehr gute Eisdiele und am großen Hauptplatz ein schönes Cafe mit ebenso schönen Frauen drin.
Wir wollen die Gelegenheit nutzen, aber mit unseren staubigen Enduroklamotten ernten wir nicht einmal mitleidige Blicke.

Skipisten sind (nicht nur) zum Endurofahren da
Nochmals fahren wir nach Piancavallo hinauf und erlauben uns einen ganz besondern Spaß. Die Befahrung der örtlichen Skipiste. Rauf geht es trotz grobem Schotter sehr gut, runter dagegen ist nur etwas für Leute mit starken Nerven und guter Motorradbeherrschung.
Zwei Tage später geht`s weiter Richtung Vittorio und Bassano del Grappa. In dem idyllischen Bergstädtchen Bassano del Grappa fallen die vielen Keramik- und Spezialitätengeschäfte sofort ins Auge. Für beides ist Bassano berühmt, wobei zu den angebotenen Delikatessen vor allem regionale Salamisorten, Honig, getrocknete Steinpilze, sowie diverse würzige Bergkäse zählen und - natürlich – Grappa. Der Name "Grappa" ist allein Tresterbränden vorbehalten, die in Italien gebrannt werden. Bassano ist der Ausgangspunkt für die Sette Comuni. Ein Gebirgshochplateau das unter Mountainbikern sehr bekannt ist. Die Fahrt von Bassano nach Valstagna, der Brenta entlang, ist immer gleich langweilig. Entschädigen tut uns allerdings die Auffahrt von Valstagna nach Foza. Hier kann man die Vorteile einer Enduro auf der engen winkligen Passstrasse richtig auskosten. Oben auf dem Altopiano dei Sette Comuni angelangt, findet sich immer eine schöne Schotterstrecke. Mehrere Trattorias mit angeschlossener Pension bieten ihre Dienste an und man sollte die Gelegenheit nutzen. Die Hochebene der Sette Comuni wurde im 12.Jahrhundert von bayerischen Bauern und Handwerkern besiedelt. Hier oben konnte sich auch die Zimbrische Sprache über die Jahr-hunderte halten.
Wir wählen diesmal die Auffahrt auf den Monte Lisser. Eigentlich einfach zu befahren, bietet dieser Berg eine tolle Aussicht auf die umliegende Gebirgslandschaft. Traurige Berühmtheit erlangte das Altopiano di Sette Comuni während des ersten Weltkrieges. So ist der Monte Lisser eigentlich ein Bergfestung. Tief in den Fels eingegraben, hatte die italienische Armee hier ein Sperrfort gegen die heranrückenden österreichischen Truppen errichtet. Die Reste der Anlage aus dieser traurigen Zeit zeugen noch heute davon.


Wir betrachten die Ruinen sprachlos. Trotzdem geniessen wir den Ausblick über die Bergwelt und die Stille die dieser Ort an diesem Tag für uns bereit hält. Ein wenig nachdenklich steuern wir unser nächstes Ziel, das Städtchen Enego an. Die Abfahrt vom Gipfel des Monte Lisser ist ein fahrerischer Leckerbissen. Enego liegt wie ein Adlerhorst über dem Tal der Brenta. Wer nicht irgendwo oben am Berg campiert oder in einer der anfangs erwähnten Trattorias auf der Sette Comuni absteigt, findet hier sicherlich eine Unterkunft. Und so nähert sich unsere Tour langsam aber sicher dem Ende. Den alten Schotterpass am Passo di Brocon lassen wir links liegen und fahren über den Passo di Cereda, die Grosse Dolomitenstrasse und Cortina d` Ampezzo zurück nach Lienz. Wer Lust und Zeit hat kann dann noch die Route über den Großglockner wählen.

Jürgen Groll, www.motorrad-reisen-online.de

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